Degrowth/Postwachstum: Einführung

Zusammenfassung des Buches

Matthias Schmelzer / Andrea Vetter: Degrowth/Postwachstum. Zur Einführung. Junius Verlag, 2019. ISBN 978-3-96060-307-8

Dieses Buch gibt einen guten Überblick über den Stand der Diskussion in Sachen Wachstumskritik, Postwachstums-Diskussionsstränge, Veränderungsvorschläge und mögliche Transformationsszenarien. Die Sprache ist klar, und es entsteht beim Lesen immer wieder ein optimistisches Gefühl. „Denn soviel ist sicher: Postwachstum stellt die richtigen Fragen“ (S. 235). 

Wachstum

In diesem Kapitel geht es um den Begriff „Wachstum“, um das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als vorherrschende Bezugsgröße, um die geschichtliche Entwicklung des Wirtschaftssystem, um Kolonialismus, Landnahme, Industrialisierung, Kapitalismus, Finanzialisierung, um die Entwicklung von Ressourcenverbrauch. Es geht aber auch um die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften, und wie dort die Idee des Wachstums zum einem zentralen Konzept wurde. 

Es wird auch beschrieben, inwiefern Wachstum im heutigen Wirtschafts- und Politiksystem notwendig bzw. systemstabilisierend ist. 

Wachstumskritik

In diesem Kapitel werden die häufigsten Kritikpunkte in der Postwachstumsdiskussion skizziert: 

a. Ökologische Kritik: Diese Kritik ist die stärkste und auch bekannteste: Dauerhaftes Wachstum kann auf einem endlichen Planeten mit endlichen Ressourcen und begrenzten Möglichkeiten der Erholung von Verschmutzung u.ä. nicht funktionieren.

b. Sozial-ökonomische Kritik: Weiteres Wachstum erhöht - zumindest im globalen Norden - die Lebensqualität nicht mehr, im Gegenteil: Dazu wären andere Faktoren wie z.B. wie z.B. Gleichheit, Zeitwohlstand, soziale Einbettung und Mitgestaltung wichtiger. 

c. Kulturelle Kritik: Es ist nicht gut, wie Menschen durch Wachstumsgesellschaften geformt werden. Hierzu gehören z.B. Formen der Entfremdung, von psychischen Belastungen u.ä.

d. Kapitalismuskritik: Die Herrschafts- und Ausbeutungssysteme kapitalistischer Akkumulation sind ursächlich für verschiedenste Krisen; der Wachstumszwang gehört zu den Kernprinzipien des Kapitalismus. 

e. Feministische Kritik: Diese Kritikform rückt in den Vordergrund, dass vordergründig die Wachstumsprozesse eher durch Männer gestaltet werden, während Frauen oft außerhalb von Lohnarbeit oder in schlechter bezahlter Lohnarbeit unverzichtbare Beiträge leisten, wie Kindererziehung, Hausarbeit und Pflege.

f. Industrialsmuskritik: Technische Systeme werden immer komplexer, leistungsfähiger und für unsere Lebensweise wichtiger, aber sie tragen keineswegs automatisch zu einer guten Lebensqualität bei. Sie haben auch zerstörerisches Potential, und oft sind sie selbst Wachstumstreiber, weil Probleme (die durch Technik verursacht sein können) durch mehr Technik zu lösen versucht werden. 

g. Süd-Nord-Kritik: Hier wird koloniale Ungerechtigkeit in den Vordergrund gestellt. Außerdem wird das Konzept des „Buen vivir“, des „Guten Lebens“, das in Lateinamerika in den letzten 20 Jahren aus traditionellen Prinzipien entstanden ist, referiert. 

Postwachstum

In diesem Kapitel werden Bausteine zusammengetragen, wie man sich eine Gesellschaft vorstellen kann, die nicht mehr auf Wachstum basiert. 

In den Zieldimensionen werden drei Grundprinzipien genannt: 

a. Globale ökologische Gerechtigkeit

b. Soziale Gerechtigkeit und Selbstbestimmung

c. Strukturen, Institutionen, Infrastrukturen etc. werden so umgestaltet, dass sie nicht mehr auf Wachstum angewiesen sind. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch der Befund, dass eine verbesserte Ressourceneffizienz zwar die relative Umweltbelastung vermindert, bei fortgesetztem Wachstum jedoch zu einer absoluten Zunahme der Umweltbelastung führt. Ein grünes Wachstum bzw. ein Weiter-so bei verbesserter Technik löst die Probleme nicht. 

Vorschläge

Die Vorschläge aus der Postwachstums-Diskussion werden in folgende Bereiche gegliedert: 

a. Vorschläge zur gerechten Gestaltung des notwendigen Rück- und Umbaus von Produktion.
b. Vorschläge zur Demokratisierung der Wirtschaft, also der Stärkung von Commons, solidarischer Ökonomie und Wirtschaftsdemokratie
c. Konvivale Technik und demokratische Technikentwicklung
d. Vorschläge zur Umverteilung und Neubewertung von Arbeit
e. Soziale Sicherung, Umverteilung und Maximaleinkommen. 

 

Beispielhaft werden 10 Forderungen der spanischen Podemos-Partei von 2015 gebracht: 

a. Schuldenschnitt für alle außer für Reiche
b. Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden, wobei nur die oberen 10% Einkommen verlieren
c. Grund- und Maximaleinkommen
d. Ökologische Steuerreform
e. Beendigung von umweltschädlichen Subventionen und Investitionen
f. Unterstützung des nicht-gewinnorientierten kooperativen Wirtschaftssektors durch Subventionen, Steuerbefreiung und Gesetzgebung
g. Optimierung von Gebäudenutzung (Leerstand bei Wohnungen)
h. Reduktion von Werbung
i. Einrichtung von ökologischen Obergrenzen für CO2 und natürliche Ressourcen
j. Abschaffung des BIP als Indikator für wirtschaftlichen Fortschritt. 

Transformationsstrategien

“Postwachstum ist eine Vision gesellschaftlicher Transformation, die in dieser Form noch nie verwirklicht werden konnte: ein bewusster, friedlicher, radikaldemokratischer Prozess der Umgestaltung von Gesellschaft, um die Bedingungen für ein gutes Leben für alle zu schaffen.“

Als Beispiel für einen Vorschlag von Transformationen bringen die Autoren folgende Schritte:

a. Ein bedingungsloses Ökologisches Grundeinkommen als erster Schritt, um eine angstfreie gesellschaftliche Diskussion über den Um- und Rückbau der Produktion führen zu können
b. Die Ausweitung von Commons als Keimform einer neuen gesellschaftlichen Ordnung
c. Die Aneignung von Fähigkeiten, um durch Subsistenzarbeit wie Reparatur und Eigenproduktion mehr Unabhängigkeit zu erreichen.
d. Vernetzung von sozialen Bewegungen, die Veränderungen ausprobieren und erkämpfen
e. Die Stärkung transnationaler solidarischer sozialer Kämpfe gegen Extraktionismus
f. Die Ausweitung der Spielräume für Postwachstums-Initiativen
g. Die zunehmende Ausweitung öffentlicher Daseinsvorsorge als Grundauskommen

In dieser Auflistung wird spürbar, wie sozusagen der Ball hin- und hergespielt wird zwischen einzelnen Nischeninitiativen (die zeigen, „dass es geht“), der sukzessiven Veränderung von Rahmenbedingungen (inkl. der Gesetzesänderungen, die Industrien zurückdrängen, die von Kohle, Öl und Gas abhängen), der gesellschaftlichen Akzeptanz für breitere Bevölkerungsschichten (auf Grund des Grundeinkommens), und dem Aufbau einer „Gegenhegemonie“, einer neuen, kraftvollen Gesellschaftsidee, dass wir das auch ohne Wachstum schaffen. 

AG, 2021-09-18